Wien ist Schmelztiegel

Samstag, 26. September 2009

Allen Unkereien zum Trotz hat es der Stadt gut getan.


Wer weiß heute noch, dass Wien vor 1914 mehr als 2,1 Millionen Einwohner hatte, obwohl die Stadt damals kleiner war als heute. Die Stadt war das was sie heute wieder zu werden scheint – der europäische Schmelztiegel. Nach dem ersten Weltkrieg verkam sie jedoch erst mal als Wasserkopfhauptstadt eines neu entstandenen Zwergstaates zur Bedeutungslosigkeit. Die Wirtschaftskrise der 30er Jahre sorgte für Abwanderung. Danach kamen die Nazis und deportierten mehr als 10% der Wohnbevölkerung, soweit diese es nicht geschafft hatten, schon vorher die Flucht zu ergreifen. Der darauf folgende WK II tat ein Übriges, um die Stadt weiter zu dezimieren. Nach dem WK II entstand wenige Kilometer östlich der eiserne Vorhang, wodurch der Stadt endgültig das natürliche Einzugsgebiet amputiert wurde.

Wien versank endgültig in der Provinzialität und sollte dies für die folgenden 40 Jahre bleiben. Als ich in den 70ern nach Wien kam, war ich jung und unternehmungslustig. Es zog mich weg von der Provinz; ich wollte in einer großen, weltoffenen Stadt leben. Was ich stattdessen vorfand war eine vergreiste Ansammlung von Dörfern und Kleinstädten, wo um 18:00 Uhr die Gehsteige hochgeklappt wurden. Eine Szene oder Nachtleben war so gut wie nicht existent. Studenten, die schon an verschiedenen europäischen Universitäten studiert hatten erzählten mir, dass sie nirgendwo so wenig junge und so viele alte Menschen auf den Straßen gesehen hätten. Abends spazierten Touristen durch die Innenstadt (so weit dies möglich war, denn Stephansplatz, Graben und Karlsplatz waren riesige Baugruben) und stellten einhellig fest, noch nie eine langweiligere Stadt gesehen zu haben, bevor sie sich wieder in ihr Hotel zurückzogen.

Der Versuch, der Stadt durch die Ansiedlung von internationalen Organisationen einen weltoffenen Anstrich zu verpassen brachte nicht besonders viel, weil vorwiegend Diplomaten kamen, die nicht die Absicht hatten, sich auf Dauer hier niederzulassen und der Stadt daher auch keine neuen Impulse geben konnten.

Neidvoll blickte ich auf pulsierende Städte wie München, Düsseldorf, Amsterdam, Hamburg und sogar das mitten in der DDR gelegene eingemauerte West – Berlin, das seiner Lage zum Trotz eine Lebendigkeit aufwies, von der man in Wien nicht mal träumen konnte. Selbst das kleine Salzburg machte einen weltoffeneren Eindruck als die Hauptstadt.

Zum Ende des Jahres 1987 erreichte die Bevölkerung von Wien mit 1.480.000 Einwohnern ihren historischen Tiefstand. Der Fall des eisernen Vorhanges brachte die Wende und seither ist die Stadt wieder das, was sie durch viele Jahrhunderte immer war – der europäische Schmelztiegel. Heute, zwanzig Jahre später weist die Stadt weider 1.700.000 Einwohner auf - Tendenz steigend. Alle, die die Stadt besuchen sind von der Vielfalt und Lebendigkeit dieser pulsierenden Stadt angetan, die heute vergleichsweise München provinziell aussehen lässt.

Ein Viertel der Wiener/innen ist heute außerhalb Österreichs geboren und wie man sieht, hat dies der Stadt gut getan und es ist zu hoffen, dass diese erfreuliche Entwicklung anhält.

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